Walter Moser
Film Stills von Warren Lynch zu Erich von Stroheims Greed (1924) – Eine medientheoretische Untersuchung von Fotografie und Film
Dissertation an der Universität Wien, Institut für Kunstgeschichte, Univ.-Prof. Dr. Martina Pippal, sowie Universität für angewandte Kunst, Univ.-Prof. Mag. Dr. phil. Gabriele Jutz, Institut für Medientheorie – Beginn: Januar 2009 – Art der Finanzierung: privat – Kontaktadresse: walterxmoser(at)hotmail.com
Erschienen in: Fotogeschichte 119, 2011
Film Stills sind bekanntlich an ein anderes Medium gebunden als der Film, aber dennoch sind sie eine Instanz, die Filme scheinbar visuell vermitteln können. Film und Fotografie prägt seit jeher ein enges Verhältnis, das einerseits in ihrer technischen Verwandtschaft, andererseits in ihrem Mythos als „realitätsnahe“ Medien begründet liegt. Der Rückgriff auf die Fotokamera zur „Dokumentation“ eines Filmes liegt somit nahe, sind doch beide Medien gleichermaßen an die „Wirklichkeit“ gebunden. Die vielzitierte Metapher der Fotografie als Fenster zur „Wirklichkeit“ bekommt vor diesem Hintergrund insofern neue Relevanz, als Film Stills vorwiegend als statischer Blick auf eine filmische „Realität“ rezipiert werden.
Die Arbeit setzt sich gerade mit diesem Verhältnis zwischen Fotografie und Film auseinander. Allerdings werden in der Untersuchung Film Stills weniger als besagte „Fenster zur Wirklichkeit“ aufgefasst, sondern als eigenständige Bildformen, die einer selbständigen, durchaus auch vom Film losgelösten Betrachtung bedürfen. So zeigen Stills erfahrungsgemäß oftmals nicht dasselbe wie der Film selbst, sondern sind aufwendig nachgestellte und für die Fotografie eigens inszenierte Szenen, die sich in einem konkreten Zeitpunkt der im Film erzählten Handlung verdichten.
Jene Fotos, die der Standfotograf Warren Lynch zu Erich von Stroheims Stummfilm Greed (1924) angefertigt hat, stehen an zentraler Stelle des Projekts. Sie eignen sich aus mehreren Gründen hervorragend für eine bildwissenschaftlichen Untersuchung: Greed, der in seinem ursprünglichen Schnitt zwischen acht und zehn Stunden dauern sollte, wurde aus kommerziellen Gründen von Seiten der Produktionsfirma MGM auf zweieinhalb Stunden gekürzt. Die restlichen Teile des Filmes wurden zerstört und sind bis dato verloren. Erhalten haben sich jedoch zwischen 800 und 1000 Film Stills von Warren Lynch, die Motive eines Filmes zeigen, der zwar nicht komplett erhalten, aber mit Fotos ansatzweise rekonstruierbar und dadurch rezipierbar ist.
Abseits ihrer Bedeutung für die Film-Rekonstruktion, liegt die Relevanz dieser Bilder auch in ihrer ästhetischen Qualität. Sie zählen zu den technisch elaboriertesten Beispielen der Stummfilmzeit, die oftmals einen hohen Grad an Medienreflexivität aufweisen. Begründet liegt das darin, dass Stroheim durch seinen Standfotografen seine eigenen Bildvorstellungen umsetzen ließ. Dies ist ein Aspekt, der sowohl bei der Frage nach der Autorschaft der Bilder als auch bei einer durch Stills möglichen Relektüre des Films relevant ist.
Die Schwierigkeit, die eine solche Analyse allerdings zu überwinden hat, liegt in dem Umstand, dass ein Vergleich zwischen einem statischen fotografischem Bild und einem filmischen Bewegbild, das sich dem Betrachter ständig entzieht, gezogen werden muss. Fotografie ist – vereinfachend formuliert –zu einem Zeitpunkt eingefrorene Raumkunst, der Film hingegen, indem er auf der Zerlegung in einzelne Bilder auf seinem materiellen Träger und deren projizierte Wiederbelebung auf der Leinwand basiert, Fotografie mit Bewegung und realer Zeit. Die Grenzen des einen Mediums definieren so die Essenz des Anderen.
Unter anderem erörtert die Arbeit, wie sich Film und Stills grundsätzlich in Relation setzen lassen. Dieser Vergleich wird eine medienübergreifende Betrachtung nach sich ziehen, die Stills vielfach als hybride Zwischenbilder bzw. als visuelle Schnittstelle zwischen Film und Fotografie definiert. Auch inwiefern sich die Semantik bzw. der Inhalt der Bilder durch den Transformationsprozess von einem Medium ins Andere verändert, wird untersucht werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Frage, inwiefern sich die filmische Narration, die auf einem zeitlichen Ablauf und Bewegung basiert, in das fotografische Einzelbild einschreiben kann. Dementsprechend werden in der Dissertation unterschiedlichste methodische Ansätze erarbeitet, die neben semiotischen und psychoanalytischen Überlegungen (u.a. von Roland Barthes, A. J. Greimas, Christian Metz, Sigmund Freud und Jacques Lacan) auch auf Texten von Vertretern des „Iconic Turn“ (z.B. Gottfried Böhm) basieren.
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