Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Wulf Köpke, Bernd Schmelz (Hg.): 

Mit Kamel und Kamera: Historische Orientfotografie 1864-1970

Veröffentlichungsform: Schriftenreihe Mitteilungen aus dem Museum für Völkerkunde Hamburg, Bd.38 (2007) – Institution: Museum für Völkerkunde Hamburg – Projektdauer: 2003–2006 – Art der Finanzierung: Förderung durch die ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius, Hamburg – Kontaktadresse: Museum für Völkerkunde, Fotoarchiv, Rothenbaumchaussee 64, 20148 Hamburg – fotoarchiv@mvhamburg.de

Erschienen in: Fotogeschichte 115, 2010

Seit langem geht eine große Faszination vom Orient aus. Vermittelt von der Orientmalerei aber auch der Literatur, wie den Märchen von 1001 Nacht oder den Abenteuerromanen Karl Mays, reizt die – vermeintliche – Exotik. Dieses Orientbild ist trotz des westlichen Überlegenheitsgefühls eher positiv konnotiert. Daneben existiert seit relativ kurzer Zeit ein äußerst negatives Bild: Der Islam hat den Kommunismus als Feindbild Nummer Eins in der westlichen Welt abgelöst.

Beide Bilder, sowohl das exotische, als auch das bedrohliche, sind äußerst klischeehaft und in dieser Form sicher nicht zutreffend. Faszinierend ist, dass diese sich widersprechenden Bilder  in der Öffentlichkeit unverbunden nebeneinander stehen können. In diesem Spannungsfeld bewegt sich momentan jede Beschäftigung mit dem Orient. Das gilt auch für ein Projekt zur Erschließung, Auswertung und wissenschaftlichen Bearbeitung von Orientfotografien.

Das Museum für Völkerkunde Hamburg (MV) erfasst seit den 1990er Jahren seine fotografischen Bestände als eigenständige Quellen mit eigenem Aussagewert. Sie werden daher ebenso wissenschaftlich aufgearbeitet wie die ethnografischen Objekte. Die ungefähr 18.000 Orient-Fotografien aus den Beständen des MV wurden innerhalb von drei Jahren im Rahmen eines von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius geförderten Projekts systematisch erschlossen und wissenschaftlich aufgearbeitet. Die ermittelten Informationen zu den Fotografien wurden computergestützt in einer Inventarisierungsdatenbank erfasst. Die Originalaufnahmen wurden konservatorisch gesichert, digitalisiert und, soweit die finanziellen Mittel dies zuließen, zusätzlich fotografisch dupliziert. Die im Rahmen des Projekts erschlossenen fotografischen Dokumente, die zwischen den frühen 1860er Jahren und 1970 entstanden, stellen wichtige Quellen zur Untersuchung nicht nur der Herausarbeitung von Orientvorstellungen und -stereotypen, sondern auch der Entwicklung der islamisch geprägten Kulturen dar. Sie zeigen oft eine inzwischen veränderte oder partiell sogar untergegangene Welt. Gleichzeitig demonstrieren sie nicht nur, dass der Orient in sich selbst äußerst differenziert ist, sondern auch, dass die Art sich dem vielfältigen Orient fotografisch zu nähern, von verschiedenen Fotografen ganz unterschiedlich angegangen wurde.

Bis ca. 1900 dominierten von professionellen Fotografen hergestellte Bilder aus dem Orient. Diese Fotografien stammen nicht nur in der Sammlung des MV vor allem von den bevorzugten touristischen Reisezielen des Orients im 19. Jahrhundert, Ägypten und Palästina. Viele Aufnahmen sind charakteristische Beispiele für den damaligen europäischen Blick auf das Fremde. Gerade kommerziell hergestellte Orientfotografien des 19. Jahrhunderts waren von westlichen Orientstereotypen beeinflusst und geprägt. Mit den Bildern von Lévy et Fils aus Marokko sowie Bildern von Sevruguin aus dem Iran besitzt das MV auch Beispiele aus Regionen, in denen derartige Fotostudios weniger verbreitet waren. Ab der Jahrhundertwende nahm die Zahl von Amateuren, die ihre Urlaubs- und Reiseeindrücke selber mit einer Kamera festhielten, stark zu. Auch sie nahmen häufig klischeebeladene Motive auf. Derartige Touristenfotografien haben ebenfalls Eingang in die Sammlung gefunden.

Den bedeutendsten Teil der Sammlung stellen sehr frühe Fotografien wissenschaftlicher Feldforschungen und Expeditionen dar, die in für westliche Reisende bis dahin kaum oder gar nicht zugängliche Gebiete führten. Die Wissenschaftler fotografierten, um die abgebildeten Kulturen möglichst gut zu dokumentieren und Untersuchungsmaterial zu gewinnen. Dabei unterlagen sie jeweils den herrschenden wissenschaftlichen Forschungsmoden. Klassische anthropometrische Aufnahmen, die die Angehörigen anderer Kulturen lediglich als zu vermessendes Objekt in Szene setzen, sind in den Beständen allerdings angenehm selten vertreten. Hervorzuheben sind eine Sammlung von dem Fotografen Samuil M. Dudin, der während einer russischen Expedition 1898 das Leben kasachischer Nomaden dokumentiert hat, sowie eine umfassende Sammlung von Carl Rathjens und Hermann von Wissmann aus den 1920er/1930er Jahren, die eine der frühesten fotografischen Dokumentationen aus dem Jemen darstellen.

Gerade ihre Vielfalt macht den Reiz der Sammlung des MV aus. Mit dem das Projekt abschließenden Katalog wurde zumindest für den deutschsprachigen Bereich zum ersten Mal der Versuch unternommen, das gesamte Spektrum der aus dem Orient stammenden Fotografien zu präsentieren und zu untersuchen. (nach dem Vorwort von Alf-Tomas Epstein zum Katalog).

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