Beiträge zur Geschichte und Ästhetik der Fotografie

hg. von Dr. Anton Holzer

Anton Holzer

Die Frau in Robert Capas Schatten

Irme Schaber, Richard Whelan, Kristen Lubben (Hg.): Gerda Taro. From the Collection of the International Center of Photography – New York: International Center of Photography, Göttingen: Steidl, 2007 – 28, 5 x 22 cm, 176 Seiten, 80 Abb. in S/W und Farbe, gebunden – 30 Euro

Erschienen in: Fotogeschichte 109, 2008

Wer war Gerda Taro (1910-1937)" Die Freundin von Robert Capa, eine junge deutsche Pressefotografin, die im Spanischen Bürgerkrieg unter tragischen Umständen zu Tode kam" Und weiter" Weiter nichts. Jahrzehntelang war kaum jemand an ihrer Lebensgeschichte interessiert, ihr fotografischer Nachlass blieb lange Zeit unbeachtet. Es reichte offenbar, in ihr die Freundin und Geliebte Robert Capas zu sehen. Erst Ende der 1980er, Anfang der 1990er Jahre begann sich die Situation zu ändern. Zu verdanken ist dies in erster Linie der Fotohistorikerin Irme Schaber, die 1994 eine – ausgezeichnete – Biografie über Gerda Taro vorlegte.[1] Das Buch wurde zwar inzwischen ins Französische, aber leider nicht ins Englische übersetzt. Die Forschungen Schabers bildeten schließlich auch Anstoß dafür, sich weiter mit der vergessenen Reporterin zu beschäftigen. Das Ergebnis dieser Anstrengungen ist eine monografische Ausstellung, die das International Center of Photography Ende 2007, Anfang 2007 in New York zeigte. Der begleitende Katalog beansprucht, Gerda Taro endlich den Platz in der Fotogeschichte einzuräumen, der ihr zusteht. Das Vorhaben, an dem neben Richard Whelan (der u.a. als Capa-Biograf bekannt wurde) und Kristen Lubben auch Irme Schaber als Autorin und Mitherausgeberin beteiligt ist, ist zweifelsohne wichtig. Und doch entsteht, wenn man das Buch gelesen hat, ein wenig der Eindruck, als ob man mit dieser Publikation die Stunde Null in der Taro-Forschung ausrufen möchte. Seltsamerweise wird die Vorarbeit und die Biografie von Schaber nur am Rande erwähnt, viele Ergebnisse, die Schaber zusammengetragen hat, finden nicht Eingang in den neuen Band. Wie dem auch sei: Für ein englischsprachiges Publikum beschreitet der Band tatsächlich Neuland. Er bietet einen Überblick über Taros (erhaltenes) fotografisches Werk und gibt auch wichtige Hinweise zu ihrer Lebensgeschichte und zur fotografischen Zusammenarbeit mit Robert Capa. Aber eine umfassende Monografie, die man hätte erwarten können, ist die Publikation beileibe nicht. Zu viele Aspekte, der Biografie, der Rezeption, des historischen Hintergrundes, bleiben nach wie vor ausgeklammert. Das ist schade, denn so schnell wird wohl keine neue Taro-Publikation erscheinen.

Das Buch beginnt mit einem lesenswerten Aufsatz von Irme Schaber, der Taros fotografische Arbeit im Spanischen Bürgerkrieg in den Jahren 1936 und 1937 ins Zentrum stellt, aber auch einige Hinweise auf die Lebensgeschichte der Fotografien einflicht. Zwar liefert die Autorin auch einige interessante biografische Hinweise zur Lebensgeschichte vor 1936, aber diese Zeit bleibt merklich unterbelichtet. Taro, eine junge Deutsche (deren Eltern aus Galizien eingewandert waren), die mit richtigem Namen Gerda bzw. Gerta Pohorylle hieß, war im Herbst 1933 vor den Nazis nach Paris geflüchtet. Hier lernte sie im Herbst 1934 Robert Capa kennen (der zu dieser Zeit noch Friedmann hieß). Sie lernt von ihm das Fotografieren und beide versuchen, ihre Bilder an die Presse zu verkaufen. Taro arbeitet zu dieser Zeit als Mitarbeiterin der Pariser Fotoagentur "Alliance Photo", die von Maria Eisner geführt wurde, der späteren Mitbegründerin von "Magnum" und Magnum-Büroleiterin in Paris. Ausgestattet mit diesen Erfahrungen, wird sie zu einer Art Managerin Capas. Sie ist es, die offenbar Anfang 1936 vorschlägt, neue, besser vermarktbare Namen anzunehmen: aus Endre Friedmann wird Robert Capa, aus Gerta Pohorylle wird Gerda Taro. Zeitweise firmieren die Beiden unter dem Markenzeichen "Reportage Capa & Taro".

Der Beitrag von Richard Whelan ("Identifying Taro"s Work: A Detective Story") beschäftigt sich mit der kritischen Überprüfung der (Neu-)Zuordnung des Nachlasses von Taro und Capa. Der Autor schildert (sichtlich stolz), wie es ihm gelang, eine ganze Reihe von Abzügen, die bisher Capa zugeordnet waren, als Arbeiten von Taro zu identifizieren. Die Hinweise, die er gibt, sind interessant, gehen aber leider über den schmalen Untersuchungsausschnitt (Wer fotografierte was") nicht hinaus. Immerhin gelingt es ihm, zahlreiche Bilder, die bisher Capa zugeschrieben wurden oder als anonym galten, als Arbeiten Taros zu identifizieren. Es zeigt sich, dass diese Neuzuordnungen erst dann erfolgten, man im Umkreis des International Center of Photography begann, sich intensiver mit Taro zu beschäftigen. Auch neue Funde tauchten auf: Eine Schachtel von Aufnahmen Taros wurde im Archiv des International Center of Photography gefunden, weitere Bilder fanden sich im Pariser Nationalarchiv und zwar in 8 Notizbüchern, die Aufnahmen von Capa und Taro enthielten.

So wichtige diese Recherche auch ist, sie erweckt ein wenig den Anschein, als ob das Vergessen und Verdrängen von Taro ein natürlicher Prozess gewesen sei, der nun, dank der Initiative von Whelan (und nicht Schabers) rückgängig gemacht wurde. Wenig erfahren wir über die Rezeptionsgeschichte der Arbeiten Taros, wenig über den politisch-gesellschaftlichen Prozess des Vergessens, der 1938/39 einsetzte. Und wenig erfahren wir auch über das Umfeld, in dem Taro (und Capa) während des Krieges gearbeitet haben, über die Vermarktung ihrer Fotos, über die mediale Logistik, die ihn zum Star machte (in dessen Schatten Taro stand). Wenig erfahren wir auch über das publizistische Umfeld, in dem die beiden arbeiteten, über ihre Fotoagentur Blackstar und seine Agentur Pix und später Magnum, die ganz wesentlich an der Umdeutung der Geschichte Taros beteiligt waren. Einiges ist zwischen den Zeilen zu lesen, aber es wäre wichtig gewesen, den Aspekt der Rezeption viel stärker ins Zentrum der Auseinandersetzung zu stellen. Daher sollen abschließend ein paar Überlegungen zu diesen Themen angestellt werden, die im Buch nicht ausgeführt werden.

Wenn man sich mit dem Vergessen von Gerda Taro beschäftigen will, muss man sich zwangsläufig auch mit Robert Capa beschäftigen. Es fällt auf: Fast genau zu dem Zeitpunkt, als dieser berühmt wurde (1936/37), geriet Taro ins Abseits der Öffentlichkeit (1938/39). Wie kam es dazu" Die einfachste Erklärung läge darin, Robert Capa die alleinige Schuld zuzuschreiben. Er, so könnte diese These lauten, habe sich auf Kosten seiner Freundin profiliert, während er ins mediale Licht eintauchte, wurde diese aus der Öffentlichkeit verdrängt. Ganz so einfach liegen die Dinge nicht. Gehen wir noch einmal zurück ins Jahr 1936, als Robert Capas wohl berühmtestes Foto entstand. Er fotografierte es, so lautet die Überlieferung, am 5. September 1936 an der spanischen Front. Es wurde bald danach bereits in französischen Zeitungen (unter anderem in Vu) veröffentlicht. Aber erst als die amerikanische Zeitschrift LIFE am 12. Juli 1937 die Aufnahme druckte, setzte es sich als Ikone des Kriegs durch. Der fallende Soldat wurde zu Capas berümtestem Bild.

Am 16. August 1937 wurde der "fallende Soldat" ein zweites Mal in der Zeitschrift LIFE veröffentlicht, diesmal freilich in einem ganz anderen Kontext. Die Schlagzeile lautete: The Camera overseas: The Spanish War kills ist first Woman Photographer". Gemeint war Gerda Taro. Sie war drei Wochen zuvor, am 25. Juli 1937, in Brunete verunglückt. Ein rückwärts rollender Panzer der republikanischen Truppen hatte sie überrollt Taro wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht und starb einen Tag später. Das Begräbnis fand am 1. August in Paris statt. Zehntausende Teilnehmer waren gekommen, um von ihr Abschied zu nehmen. Die junge Reporterin war mit einem Schlag zur Heldin und Märtyrerin des Kriegs geworden. Zahlreiche Fotos von ihr wurden in der Presse veröffentlicht, von nun an erschienen die Bilder, die sie selbst an ihren Hauptabnehmer, die französische Zeitung Ce Soir, geliefert hatte, mit Namen. Dieser posthume Ruhm dauert freilich nicht lange. Schon ein, spätestens zwei Jahre später war ihr Name weitgehend vergessen. Anfang 1939 war der Bürgerkrieg zu Ende. 1938 veröffentlichte Capa, der inzwischen weltbekannt war, unter dem Titel Death in the making (Layout: Andre Kertesz) seinen ersten Fotoband. Er ist der Erinnerung an Gerda Taro gewidmet. Capa hatte in dem Buch nicht nur eigene Aufnahmen zusammengestellt, sondern auch Bilder von Taro verwendet. Insgesamt ein Viertel der Fotos stammen von ihr. Allerdings fehlen jegliche Quellenangaben und es ist daher nicht weiter verwunderlich, wenn in der Folge die Bilder ihm zugeordnet wurden. Er hat diese Rezeption zeitlebens nicht korrigiert. Robert Capa setzte seiner Freundin mit dem Band Death in the making zwar ein Denkmal, aber eines, das mindest ebenso ihm selbst galt. Das Verwischen der Spuren setzte sich in den folgenden Jahren fort. Die amerikanische Fotoagentur Pix, die Robert Capa bis 1943 vertrat, überklebte – vermutlich zwischen 1939 und 1943 – zahlreiche Abzüge Taros und machte aus ihnen Capa-Fotos. Nebenbei bemerkt: Während dieser Zeit arbeitete Robert Capas Bruder Cornell für diese Agentur. Ob Robert Capa von dieser Praxis des Überklebens wusste, ist nicht bekannt. Ähnlich ging einige Jahre später das New Yorker Büro der Fotoagentur Magnum vor. Ab etwa 1955 wurden wiederum Taro-Abzüge mit dem Capa-Stempel versehen. Diese "Neuzuordnung" erfolgte, wie Richard Whelan vermutet, wiederum aus "rein kommerziellen Gründen". 1939 war Gerda Taro vergessen, ihre Bilder waren nicht mehr verkäuflich, die einzige Möglichkeit, ein Interesse für sie zu erzeugen, lag offenbar darin, sie Capa zuzuschreiben. Und genau das geschah. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich also, dass Taro nicht einfach vergessen wurde, sondern systematisch aus der Öffentlichkeit verdrängt wurde.

Das fotografische Werk Gerta Taros ist – etwa im Vergleich zu Robert Capa, von dem rund 6000 Vintage Prints erhalten sind – überaus schmal. Nur gut ein Jahr lang – von August 1936 bis Juli 1937 - war sie in Spanien unterwegs. Den größten Teil der erhaltenen Arbeiten besitzt heute das International Center of Photography (ICP). Das vorzüglich recherchierte Werkverzeichnis im Anhang der vorliegenden Publikation listet 84 Vintage Prints auf, die abgebildet sind und die allesamt aus dem Beständen des ICP in New York stammen. Leider wurden jene Aufnahmen, die in französischen Archiven liegen, nicht in die Monografie aufgenommen. Warum diese Beschränkung" Das ICP, das 1974 von Cornell Capa gegründet wurde, nicht zuletzt, um den Mythos seines Bruder Robert Capa zu verwalten und zu mehren, hatte die Fotoarbeiten von Taro jahrelang seinem Besitz. Man kann mutmaßen, dass die als Capa-Bilder "verkleideten" Aufnahmen der Fotografin vielleicht gerade deshalb die Zeiten überdauert haben, weil sie – zumindest teilweise – Capa, dem Star, zugeschrieben wurden und nicht Taro, der Vergessenen. Wenn nun, siebzig Jahre nach Taros Tod, ihr Beitrag zur Pressefotografie im Spanischen Bürgerkrieg, dargestellt und aufgearbeitet wird, ist das eine löbliche, wenn auch späte Initiative. Schön wäre gewesen, wenn das ICP nicht nur die eigenen Bilder ausgestellt, sondern das schmale Gesamtwerk gezeigt hätte, das heißt alle bekannten Taro-Abzüge. Schön wäre weiters gewesen, wenn die Analyse im Katalog über die beiden Beiträge von Schaber und Whelan hinausgegangen wäre. Gewiss: Gerda Taro ist nun wieder eingeführt in die Geschichte der Pressefotografie. Aber diese Einführung hätte ruhig im Textteil etwas umfangreicher und differenzierter ausfallen können.


[1]Irme Schaber: Gerta Taro. Fotoreporterin im Spanischen Bürgerkrieg, Marburg, Jonas Verlag, 1994.

 

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